Wir veröffentlichen hier den Bericht der nordspanischen Gesundheits- und Krankenpflegerin Laura Bellido. Sie analysiert die Situation in Spanien in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Der Artikel wurde im September 2020 verfasst.
In den Monaten März und April zum Höhepunkt der Sars-Cov-2-Pandemie in unserem Land wurden tausende Personen aus der Arbeitslosigkeit zu Stärkung als MitarbeiterInnen in ein durch seit 2008 durchgeführte Privatisierungen und Kürzungen geschwächtes und angeschlagenes Gesundheitssystem wieder eingestellt. Verschärft wurde das durch Krankenstände und den durch die Covid19-Krise ausgelösten Zusammenbruch. Wir waren bereit und motiviert zu einer Zeit einzusteigen, in der uns das Land brauchte. Nichtsdestotrotz wollten wir uns auch deshalb engagieren, weil wir – egal wie sie es noch heroisieren – uns unserer Brot verdienen wollten, denn Krankenpflege ist eine Arbeit und wir ArbeiterInnen sind Menschen, die ein Leben zu Leben haben und sich ihren Unterhalt verdienen müssen.
Ich arbeite als Krankenpflegerin im Krankenhaus Basurto (Anmerk. d. Ü.: Krankenhaus im 8. Bezirk Bilbaos). Es ist ein öffentliches Krankenhaus des baskischen Gesundheits-Verbundes Osakidetza. Aber ich bin Andalusierin (Süd-Spaniens). Ich bin vom Süden in den Norden emigriert und habe viel zurück gelassen, weil Osakidetza am Besten funktioniert und die besten Bedingungen im Land anbietet. Ich hatte bisher trotz 3 Jahren Berufserfahrung und einer Unmenge an unbefristeten Verträgen nicht einmal die Chance im Gesundheitsverbund Andalusiens zu arbeiten.
5 Monate sind vergangen, seit unsere Überbelastung begonnen hat und die medizinische Situation und die Arbeitsbedingungen verschlechtern sich inmitten einer möglichen zweiten Infektionswelle Tag für Tag.
Anfang Mai war ein signifikanter Rückgang von an Covid19-erkrankten PatientInnen zu verspüren und die Situation im Krankenhaus entspannte sich, weil die übliche Aktivität an Operationen und der Ambulanzen noch nicht begonnen hatte. Damit einher ging ein spürbarer Rückgang der Arbeitsbelastung. Die Verträge „zur Verstärkung gegen Covid19“ liefen mit Juni aus und in den Wochen vor deren Auslaufen bekamen wir einen Anruf der Rekrutierungsbehörde. Sie boten uns an unseren Vertrag bis November zu verlängern, unter der Bedingung, dass wir unsere Ferien nur in den letzten Maiwochen einteile könnten. Doch zu diesem Zeitpunkt wären wir noch im Ausnahmezustand gewesen und hätten unseren Urlaub demnach nur an einem Ort verbringen können – zuhause. So stellten sie sicher, dass das Personal weiter erhalten bleibt und sie vor einem möglichen neuen Aufkommen des Virus gewappnet sind. Gleichzeitig ersparten sie sich auch die Kosten von neuen Verträgen, die für die Ferien des fixen Personals entstehen würden, indem sie uns verpflichteten unsere Ferien dann zu nehmen, wenn der Arbeitsaufwand im Krankenhaus am geringsten wäre. Resigniert hat der Großteil von uns diese Perspektive akzeptiert.
In Madrid haben sie überhaupt einen Teil des Gesundheitspersonals noch vor dem Auslaufen ihrer Verträge gefeuert, wodurch unsere Situation ja “noch unglimpflich” wäre. Auf diese Weise betrifft einen die allgemeine Arbeitslage besonders. Die Situation die unsere Kollegen und Kolleginnen in Madrid erlebt hatten, übersetzte sich auch in Bilbao. Hier akzeptierten wir mit Resignation den Zwang unseren Urlaub an die Wünsche und Interessen des KH anzupassen – und nicht an unsere eigenen.
Auf der anderen Seite funktioniert die normale Prävention und Kontrolle von chronischen Krankheiten nicht so wie vor der Pandemie. Dies liegt allem voran an dem Ausbleiben einer Ausweiterung der Ressourcen sowie der MitarbeiterInnen. Die ärztlichen Untersuchungen werden telefonisch abgehalten, als ob die physische Betrachtung und gesundheitliche Überwachung des Patienten durch ein zwei minütiges Telefongespräch zu kompensieren wären. Die PatientInnen die nun doch in den Intensivstationen eintreffen haben weitaus ernstere Krankheitsbilder. Potenziale Risiken und längerfristige Folgen von Erkankungen werden kaum mehr detektiert und auch das Contact Tracing ist sehr schlecht. Auf all diese Missstände reagiert das Krankenhaus nur auf eine Weise: Betten schließen, da es ja “zu wenig Personal” gibt. Doch wenn es so wenig Personal gibt, was verhindert an die Universität zu gehen um dort neue ÄrztInnen und PflegerInnen zu organisieren? Zur selben Zeit wachsen die Wartelisten, was schwerwiegende medizinische Folgen hat. Die fix Angestellten sind auf Uraub und wir, die Variablen, sind trotz Überstunden, ausfallenden Pausen, doppelten Schichten und allgemein unwürdigen Arbeitsbedingungen nicht ausreichend die leeren Stellen zu kompensieren.
Und doch es hiermit noch nicht genug. Inmitten eines zweiten Aufflammens von Fällen, mit viel weniger Personal, der Hälfte an Betten geschlossen, der Moral am Boden, werden uns nun von Seiten der Leitung freie Tage aufgrund von persönlichen Zwecken verwehrt – obwohl dies ein klar verankertes Recht in unseren Verträgen ist. Alles, im Namen von Covid-19. Es sieht so aus, als ob wir, die vorübergehend Angestellten, “uns überanstrengen müssen um genug Geld zu gewinnen für die Arbeitslosigkeit.” Es sieht außerdem so aus, als ob alle arbeitsrechtlichen Errungenschaften nur für die fix Angestellten gültig sind, als ob wir keine Familie, keine Freunde ja kein Leben hätten, als ob wir keine Namen hätten. Wir sind nichts als “Notfallsbeschäftigte” und das ist wohl gleichbedeutend mit einer völligen Absage an unsere Arbeitsrechte.
Von uns, die wortwörtlich unser Leben aufs Spiel gesetzt haben und dies weiterhin tun, gibt es Tausende. Ein großer Teil von uns ist nur vorübergehend beschäftigt. In Osakidetza liegt die Beschäftigung bei 40%, 12 Punkte mehr als im gesamten privaten Sektor. Die durchschnittliche Befristung eines temporären Pflegevertrages liegt bei 49 Tagen. Hunderte gehen vorübergehend in den Ruhestand. Ferner leisten 120.000 Personen einen öffentlichen Dienst, der von verschiedenen Regierungsstellung de facto völlig privatisiert wurde. Diese Behandlung zusätzlich zur allgemeinen massiven Last die auf unseren KollegInnen liegt, hat gravierende Auswirkungen auf die Qualität unserer Dienstes. Wir beginnen unsere tägliche Arbeit ohne zu wissen, wie es morgen aussehen wird.
Die Verschlechterung der Gesundheitsarbeit ist keineswegs eine neue Erscheinung oder eine vorübergehende. Sie ist vielmehr ein jahrelanges Phänomen, das aber vor allem im letzten Jahrzehnt massiv zugenommen hat. Die aktuelle Pandemie hat schlussendlich bewiesen, dass die Politik der Einsparung, des Erdrückens des öffentlichen Sektors, der Privatisierungen furchtbare Auswirkungen für die Menschen haben. Sie sind Teil eines Vorhabens, das darauf setzt das öffentliche System zu verschlechtern um so einen größeren Anreiz zu schaffen, private Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. Diese privaten Einrichtungen haben allerdings nichts Anderes getan, als die Hände in Unschuld zu waschen und Geld zu scheffeln. Alleine für einen Coronatest haben sie bis zu 810 Euro eingesackt. Die immense Ausbeutung in der privaten wie in der öffentlichen Gesundheit wirken sich auf die Gesundheit der gesamten Gesellschaft aus.
Wir sehen also gleich eine Vielzahl von Widersprüchen. Einerseits, ist unser öffentliches Gesundheitssystem überfordert, es wird uns vermittelt, dass es zu wenig Personal gibt, während PflegerInnen und ÄrztInnen miserable Arbeitsangebote bekommen. Auch der Zugang auf die Universitäten wird durch die winzige Anzahl an öffentlichen Stellen, die angeboten werden, erschwert. Gleichzeitig gibt es genügend gesundheitliche Einrichtungen und Krankenhäuser, doch dadurch dass ein Großteil von ihnen privat ist, wandelt die Regierung lieber Turnsäle um anstatt die privaten Kliniken zu verwenden, jetzt wo die Öffentlichen kollabieren. Nicht weil sie bei den Privaten nicht intervenieren könnten, sondern weil dies eine neue Hemmschwelle setzen würde. Alle Medien trichtern uns täglich ein: “wir haben nichts aus dieser Pandemie gelernt,” aber dies ist nichts als ein Versuch das Problem zu individualisieren und die wahren Schuldtragenden aus der Verantwortung zu nehmen. Sie versuchen eine Tatsache zu kaschieren: Dass das ökonomische und gesellschaftliche System nicht mehr funktioniert. Der Kapitalismus funktioniert nicht.
Der Gesellschaft hingegen ist völlig klar, was der Stellenwert eines funktionalen öffentlichen Gesundheitssystems ist. Wir müssen die offnen Privatisierungen genauso beenden, wir die versteckten. Wir brauchen einen würdigen Lohn und ein Ende der Verschlechterungen. Die hohe Rate an vorübergehender Beschäftigung in unserem Sektor muss einer arbeiterfreundlichen Beschäftigungspolitik weichen. Die Unterverträge, die korrupten, privatwirtschaftlichen Beschäftigungen in Unternehmen wie Cursos, Másteres und Expertos müssen beendet werden. Dies schaffen wir nur wenn wir die aktuelle Arbeitsreform abwehren und uns auf alle Schichten der ArbeiterInnen und Arbeiter aller anderen Industrien und Sektoren stützen. Nur durch Solidarität und der Einheit der gesamten ArbeiterInnen ist es möglich als Gesellschaft voranzuschreiten.