Die Gesundheits- und KrankenpflegerInnen in Dänemark haben genug von ihren schlechten Arbeitsbedingungen und mieser Bezahlung. Sie haben mit einem NEIN zum vorgeschlagenen Tarifvertrag gestimmt.
Ein Bericht direkt von vor Ort.
Am 25. März wurde die Ergebnisse der Abstimmung der Pflegekräfte, organisiert im Dänischen Krankenpflegerrat (DSR) über den vorgeschlagenen Tarifvertrag veröffentlicht. Zum Schock und zur Verbitterung der herrschenden Klasse wurde das Verhandlungsergebnis abgelehnt.
Für Politiker und ihre Kolumnisten in den dänischen Zeitungen kam dies als völlige Überraschung. Denn sie hatten sich daran gewöhnt, dass die Corona-Pandemie wie ein Damoklesschwert über den Arbeitern hängt und diese aus Angst vor Jobverlust heraus sich nicht trauen würde, für bessere Arbeitsbedingungen oder Löhne zu kämpfen. Verweise auf die nationale Einheit und das gemeinsame Interesse der gesamten Bevölkerung sich jetzt doch zurückzuhalten zum Trotz, haben sich die KrankenpflegerInnen dagegen entschieden, sich der Ideologie der nationalen Einheit länger zu beugen.
Aus der Sicht der Strategen der herrschenden Klasse drohte auch keine Gefahr. Die Niederlage der großen Streikwelle von 2008 wog immer noch schwer auf dem Bewusstsein der öffentlich Beschäftigten. Seit Jahren gibt es keine organisierte Gewerkschaftsopposition. Die Gewerkschaftsspitze, auch die des Dänischen Krankenpflegerrat (DSR) unterstütze jedes noch so miserable Verhandlungsergebnis und mahnten ihre Mitglieder zur Zurückhaltung.
Trotz allem wurde es ein NEIN. Es war keine große Mehrheit, 47,3% stimmten für nein, während 46,5% mit ja stimmten. Die Stimmung war jedoch überaus angespannt, was auch daran ersichtlich war, dass die abgegeben Stimmen prozentual die höchsten seit 13 Jahren sind.
Seit Corona ausgebrochen ist, wird die dadurch ausgelöste Krise sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor dazu verwendet, Arbeitsbedingungen und Rechte anzugreifen und Kollektivverträge zurückzudrängen. Die KrankenpflegerInnen sind die erste größere Gruppe Arbeiter, seitdem die Pandemie in Dänemark angekommen ist, welche sich dafür entschieden haben Widerstand zu leisten, auch gegen den Willen ihrer eigenen Gewerkschaft. Das zeugt davon, dass die seit Jahren schwelende Wut und Frustration nicht mehr eingedämmt werden kann.
Nicht nur Corona
Das lächerliche Verhandlungsergebnis hat endgültig das Fass zum Überlaufen gebracht. 5,02% Lohnsteigerung innerhalb von drei Jahren, sollen es sein. Die bürgerlichen Kommentatoren hielten dagegen, dass die vorhergesagte Inflation in der gleichen Periode, doch nur 3,95% betragen würde. Die Krankenpfleger sollen sich also mit mickrigen 1,07% mehr Lohn über drei Jahre verteilt zufriedengeben, in einem Sektor, der schon jetzt enorm unterbezahlt ist! Es ist naiv zu glauben, dass die Inflation in diesen kleinen Rahmen bleiben wird, werfen die europäischen Regierungen doch Milliarden über Milliarden in die Märkte. Bloß in diesem Jahr sollen die Immobilienpreise in Dänemark um 9,7% steigen und weltweit melden ProduzentInnen immer öfters steigende Produktionskosten, welche die KapitalistInnen an die Bevölkerung weitergeben wird.
Das Lob der Politik und Gewerkschaftsspitze über den Abschluss ist also nichts als Hohn. Die KrankenpflegerInnen haben das Geschwätz der PolitikerInnen im Parlament als die Heuchlerei erkannt, welche sie ist. Denn während die Abgeordneten die arbeitende Bevölkerung zur Zurückhaltung aufforderten, gewährten sie sich selbst eine kräftige Gehaltserhöhung. Allein die Premierministerin, immerhin Sozialdemokratin, wird zukünftig jährlich viertausend Euro mehr erhalten.
Nicht nur wurde eine geringe Lohnerhöhung ausgehandelt, es wurde auch seitens der Gewerkschaft darauf verzichtet das sogenannte „Regulierungsregime“ abzuschaffen. Dieses legt fest, dass die Löhne der öffentlich Angestellten nicht mehr steigen dürfen als die der Arbeiter in der Privatwirtschaft. Es gibt also zwar eine Decke, aber keinen Boden. Das heißt, wenn die Löhne auf dem privaten Arbeitsmarkt sinken, sind die vom Staat angestellten Arbeiter gezwungen, dem zu folgen.
Die Absurdität dieser Ordnung zeigt sich dieses Jahr besonders, in welchen die Krankenpfleger eigentlich fallende Löhne akzeptieren müssten. Warum? Weil sie besonders hart gearbeitet haben!? Schon jetzt wird das Pflegepersonal darauf eingestellt nach der Pandemie noch mehr zu arbeiten, schließlich müssen die wegen Corona verschobenen Behandlungen nachgeholt werden.
Jedoch ist es nicht nur ein Problem, wie das Personal während Corona behandelt wurde. Das öffentliche Gesundheitssystem wird seit Jahren von der Politik langsam aber effektiv systematisch ausgehungert. Dadurch wurden die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass die KrankenpflegerInnen von Station zu Station fliehen, wenn sie nicht überhaupt den Beruf vollständig verlassen.
Wir kümmern uns darum … in der Zukunft
In Wirklichkeit reichen die Probleme mehrere Jahrzehnte zurück. In jüngster Zeit wird die niedrige Bezahlung traditioneller Frauenberufe wie Krankenpflege oder Erziehung mit der 1969 beschlossenen Reform des öffentlichen Dienstes in Verbindung gebracht. Die Reform ordnete die verschiedenen Gruppen von Staatsbediensteten in ein Tarifsystem ein, in dem traditionelle Frauenberufe systematisch am unteren Ende angesiedelt wurden, im Gegensatz zu anderen Berufen mit ähnlichen Qualifikationsanforderungen, die aber von Männern dominiert wurden.
Das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie Frauenunterdrückung politisch im bürgerlich-kapitalistischen System verankert ist. Wenn die Führung des Dänischen Krankenpflegerrat (DSR) diese zutiefst sexistische Reform abschaffen wollen würde, dann wäre es naheliegend, das Momentum der Kollektivverhandlungen zu nutzen und die Arbeitsgeber, also die Politiker selbst direkt zu konfrontieren. Sie sollten klar und deutlich sagen: „Einer unserer Mindestforderungen ist es diese Reform abzuschaffen, sonst beantworten wir das mit Streiks und Massenmobilisierung.
Statt die kämpferische Stimmung zu nutzen, tat die Gewerkschaft das genaue Gegenteil. So sagte Grete Christensen (Gewerkschaftsfunktionärin) in einer Pressekonferenz:
„Wir wollen, dass die frauendominierten Berufe, die ein Lohngefälle haben, aufholen; aber wir glauben, dass das eine politische Agenda ist, die wir nach diesen Verhandlungen verfolgen müssen.“
Ist der Lohnunterschied und die Arbeitsbedingungen von KrankenpflegerInnen nicht auf der Agenda? Sind es nicht die Abgeordneten und die Regierung, die diese Bedingungen bestimmten? So geht also die Gewerkschaftsspitze mit ihren Mitgliedern um. Während diese versuchen Kollektivverträge zu verhandeln, möchte die Gewerkschaftsführer die ArbeiterInnen davon zu überzeugen, dass es eine andere, separate „politische Agenda“ gibt, die nichts mit dem Kampf für einen besseren Tarifvertrag zu tun hat, obwohl diese direkt die Diskriminierung von Frauenberufen festlegt!
Die Gewerkschaft versucht mit dieser Trennung die Lösung für das Problem in die ferne Zukunft zu verschieben, wo es rasch vergessen werden kann. Der Slogan „Klassenkampf ist Frauenkampf“ entspricht hier der Realität. Wenn die Gewerkschaft das Lohngefälle wirklich beenden will, muss sie ihre Mitglieder mobilisieren und Streiks und Massenversammlungen, also Klassenkampf, organisieren. Das ist die einzige Möglichkeit, die PolitikerInnen dazu zu zwingen, die jahrzehntelange im Gesetz verankerte Frauendiskriminierung zu beenden. Stattdessen macht die Gewerkschaft … nichts!
Kommt es nun wirklich zu einem Streik, zeigt sich noch deutlicher wie zusammengespart das dänische Gesundheitssystem in Wahrheit ist. Denn wenn dieser ausbricht, so ist das Personal dazu gezwungen einen Notdienst bereitzustellen. Jedoch bedeutet das für die Personalbesetzung in den Krankenhäusern, dass sich diese entweder nicht verschlechtert oder sogar gesetzlich sich verbessern müsste. Somit entsteht die vollkommen absurde Situation, dass sich durch einen Streik das Personalproblem verbessern würde!
Um wirkliche nachhaltige Verbesserung im Pflegebereich durchzusetzen, reicht es also nicht sich mit halbherzigen Aktionen, wie dies üblich für die Gewerkschaft ist, zufrieden zu geben. Nur Aktionen, welche die verantwortlichen Personen direkt betreffen, also die PolitikerInnen und das Management der Krankenanstalten, sowie Massenmobilisierungen unter der Belegschaft kann das wahnwitzige System beenden und eine ordentliche Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und anständige Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne für das Personal sichern.