Nach längerer Pause kommt 2023 wieder unser Betriebsblatt heraus. Hier ein Vorgeschmack in Form des neuen Editorials. Melde dich wenn du in deiner Station, in deiner Abteilung mit diesen Ideen aktiv werden möchtest. Wir brauchen jede und jeden KollegIn.
Der „heiße Herbst“ war eher ein laues Lüftchen und die Lohnerhöhungen blieben unter der monatlichen Inflation. Martin Gutlederer argumentiert, warum Sebastian Kurz eine „coole Zeit“ für sich kommen sieht, und warum wir uns nicht in Resignation und Zynismus flüchten dürfen.
Was ein aufgelegter Elfer für die ArbeiterInnenbewegung hätte sein können, wurde meterweit am Tor vorbeigeschossen: Trotz klarer Studienlage, dass es eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen braucht, um einen Massen-Exodus aus dem Gesundheits- und Sozialbereich und insbesondere den Pflegeberufen zu verhindern, wurde diese Chance ungenützt gelassen – und das obwohl die Basis kampfbereit war. Abseits der Wiener Ordensspitäler wurde nicht einmal ein ernsthafter Warnstreik umgesetzt. Die Teilgewerkschaften Vida/GPA im SWÖ und GÖD/Younion im öffentlichen Dienst haben für eine Mehrheit der Gesundheits- und Sozialberufe angesichts einer November-HVPI-Inflation von 10,6% (im Bereich Energie und Lebensmittel noch höher) einen Real-Lohnverlust ausverhandelt. Wenn die Gewerkschaftsführung die Abschlüsse als Erfolg verkauft, dann nur weil sie die „rollierende“ oder „zugrunde gelegte“ Inflation zur Verhandlungsgrundlage gemacht hat. Von diesem Schmäh können wir die Nachzahlungen bei den Energierechnungen und den Wocheneinkauf heuer aber nicht bezahlen. Von einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen (z.B. allgemeine 6. Urlaubswoche, Verkürzung der Arbeitszeit) war nicht einmal annähernd die Rede. Es ist ein Sinnbild für die aktuelle Gewerkschaftspolitik, dass im Gutscheinportal der Younion für Mitglieder beim IKEA höhere Prozente enthalten sind als bei unserer Gehaltssteigerung.
Diese objektiv schlechten Abschlüsse in einer Zeit, wo nach der Covid19-Pandemie den Beschäftigten aller Berufsgruppen der Daseinsfürsorge Außerordentliches abverlangt wurde, werden die öffentliche thematisierte Flucht aus dem Sektor noch beschleunigen. Bereits jetzt verlassen viele KollegInnen den Beruf, flüchten sich in die Teilzeit und/oder verdienen sich etwas im privaten Sektor via privater Pool-Dienst-Firmen oder über die Test- und Impfstraßen dazu. Das führt zu einem Wachstum eines derzeit noch sehr gut bezahlten privaten Pflegesektors der Pooldienste, der auch immer mehr versucht in die Krankenhäuser einzudringen. Das passiert auf Kosten des öffentlichen Gesundheitssystems. Aber ewig wird die Überbezahlung der Pooldienste im Gegensatz zum „normalen Angestelltendasein“ nicht aufrecht zu erhalten sein. Wenn immer mehr KollegInnen ihre Arbeitskraft zurückziehen und in die Freiberuflichkeit oder Scheinselbstständigkeit gehen, kommt es zu einer immer weiteren Vereinzelung und Entsolidarisierung. Dies höhlt langfristig das öffentliche Gesundheitssystem weiter aus und erhöht den Arbeitsdruck auf jene, die dort verbleiben. In manchen deutschen Krankenhäusern hat das zu einer Situation geführt, dass manche Stationen fast zur Hälfte von Pooldienst-KollegInnen bespielt werden. Dies wirkt sich auch auf die Qualität aus. Davon profitieren weder die KollegInnen, die auf den Stationen bleiben, noch jene, die sich gezwungen fühlen, das öffentliche System Richtung Pooldienst-Firma zu verlassen.
Erste Ansätze einer Ausweitung dieses privaten Marktes, der für alle Beteiligten teurer ist, weil private Profite auf Kosten eines öffentlichen Gutes der Gesundheit und unserer Arbeitsbedingungen generiert werden, gibt es bereits auch in Österreich. Kein Wunder, dass Ex-Kanzler Sebastian Kurz, der jetzt auf Investor macht, bereits seine Ohren gespitzt hat. Während er sich in der Pandemie mehr für die Lokale von Martin Ho als für die Daseinsfürsorge interessiert hat, investiert er nun in erste Start-Ups im Gesundheitsbereich. Einen Braten hat er u.a. bei der Plattform HeldYn gerochen, die freiberufliche Pflegekräfte und TherapeutInnen mit Pflegebedürftigen zusammenbringen soll. Laut der Plattform zu einem höheren Stundenlohn für die Beschäftigten. Was dabei unter den Tisch fällt: Den höchsten Stundensatz erhalten die Vermittler und die Investoren. Was hier für die Hausenkrankenpflege am Horizont erscheint, kann uns auch in Einrichtungen drohen. Poolfirmen statt mehr Dienstposten und KollegInnen wäre ein Horrorszenario, das zu einer völligen Erosion etablierter und hochwertiger Team-Strukturen führen würde. Letztendlich führt das langfristig zu einer Verschlechterung der Bedingungen: Egal ob fix angestellt oder in der Poolfirma.
Was wir brauchen, ist keine weitere Privatisierung der Daseinsfürsorge, sondern einen öffentlichen Gesundheits- und Sozialbereich, eine Daseinsfürsorge für die Gesellschaft unter der Kontrolle der Beschäftigten. Die Politik der Sozialpartnerschaft erweist sich dabei als völlig unfähig unseren Lebensstandard und unsere Arbeitsbedingungen zu verteidigen. Wie kann es sonst zu Bedingungen kommen, wie sie die MissCare-Austria Studie für Allgemeinstationen beschreibt: 84% aller Pflegepersonen fehlt die Zeit für notwendige Tätigkeiten, 3/4 überlegen den Beruf zu verlassen, und eine durchschnittliche Pflegeperson in einem österreichischen Spital ist im Nachtdienst für 22 PatientInnen verantwortlich. 67,8% der Befragten gaben an, dass die Pflegepersonalbesetzung in den letzten 3 Monaten selten oder nie angemessen war.
KollegInnen! Hier möchte ich mich direkt an euch richten: Es bringt nichts, diese Umstände achselzuckend hinzunehmen und sich in Individuallösungen zu verschanzen. Wir stehen vor unruhigen wirtschaftlichen und politischen Zeiten. Es wird unmöglich sein, sich seine Nische zu finden, in der man vor der Teuerung und der Erosion der Daseinsfürsorge sicher ist. Der einzige Ausweg liegt in einem solidarischen Miteinander, in der Organisierung über alle Bereiche hinweg und in einem offensiven Arbeitskampf! In diesem Sinne: Wir brauchen euch! Macht bei uns mit um eine schlagkräftige, kämpferische und demokratische Opposition in der Gewerkschaft aufzubauen.